Die Bikepacking Tour durch Süddeutschland startet im Schwarzwald und der zeigt gleich zu Beginn seine volle Vehemenz. Über Kloster Eberstein, Forbach, Mehliskopf und Mummelsee geht es an einem Kreisverkehr in Ruhestein rechts weg, um mit scharfem Schwung erneut rechts in die schwindelerregende Abfahrt zum historischen Highlight des Tages hinabzuschießen. Gleich zu Beginn überholen stinkend zwei getunte Renault R5 im Rallye-Outfit. Sofort wird klar, das hier ist eine dieser Straßen im Schwarzwald, die süchtig machen. Auf galantem Asphalt nagelt man konzentriert mit 60 Sachen zum Kloster Allerheiligen, wo zwingend der Anker zu setzen ist. Ruhe genießen vor dem was folgt.
Ein Ortsschild hinter Oppenau kündigt es an – Zuflucht. Die Pumpe geht sofort in den roten Bereich. Bikepacking ist einfach gnadenloser. Auf den ersten zwei Kilometern stellt sich der Asphalt mit 10 % auf. Was danach kommt, ist kaum flacher. Im Gegenteil, teilweise bleibt man bei 18 % Steigung fast stehen. Mehrere Male dient die Leitplanke als Zuflucht. Nach knapp einer Stunde Schinderei sind innerer Schweinehund und Oppenauer Steige endlich besiegt. Der Lohn ist grandios. Von hier oben gibt es den weitesten Fernblick des Tages. Schwarzwald, du Sau. Du hast mich – und das gleich am ersten Tag.
In Schönberg hinter Triberg brennt sich ein ganz besonderes Sinnerlebnis ein. Dieser Geruch auf 1000 Höhenmetern ist phänomenal. Warm-holziger Duft des Fichtenwalds vermischt sich mit ätherischen Ölen. Es duftet nach Ingwer, Eukalyptus, Zeder und Zitrone. Riechen, atmen, inhalieren. Sich freuen, dass man mit dem Rennrad unterwegs ist. Was für ein wohliges Erlebnis!
Auf den Kurort folgt ein Kultort – das Hexenloch. Gleich hinter Furtwangen biegt man rechts in ein schmales Sträßchen, das in einem dunklen Wald verschwindet. Der Asphalt ist rau, die Kurven teils giftig, die sieben Kilometer sind lang. Das hier ist kein Hokuspokus! Am Ufer des in der Sonne funkelnden Heubachs liegt die zauberhafte Hexenlochmühle. Entlang der Dreisam kurbelt es sich auf dem Rennrad stressfrei ins relaxte Freiburg. Feierabend für heute. Beendet wird der Tag mit einem köstlichen Rote-Beete-Risotto und einem vorzüglichen Granat-Rotwein aus Baden. Dieser duftet nach reifer Kirsche und schwarzer Johannisbeere, würzige Holzaromen ergänzen diese Genussexplosion. Riechen, schmecken, dekantieren!
Nadellose Baum-Skelette, hektarweise umgeknickte Fichtenkulturen, baumlose Kuppen. Der Schmerz den der Klimawandel auf dem Feldberg anrichtet, ist unverkennbar. Doch das Pirouetten-Panorama auf 1.493 Metern lindert das Leid! Die Aussicht vom „Top of the Black Forest“ ist überwältigend. Man blickt auf die komplette, schneebedeckte Alpenkette, die aus diffusem Dunst herausragt. Das ist wirklich spektakulär. Zeit für eine Pause. Stieren, staunen, begreifen.
Vom höchsten Punkt des Schwarzwaldes stürzt man sich anschließend brutal schnell und dennoch ewig in die Abfahrt, über Todtnau nach Schlechtnau. Noch ein kleiner Schlenker über den Schluchsee nach Rothaus, bekannt für erfrischendes Brauwerk. Ein Zäpfle ins Sattel-Säckle des Bikepacking Geschoss und ein letzter Blick zurück. Am tosenden Rheinfall in Schaffhausen endet diese Etappe. Ade, Schwarzwald! Es war grandios und für „On the ride“ garantiert nicht das letzte Mal.
Drei Tage Bikepacking im Gebirge haben deutliche Spuren hinterlassen, deswegen steht die 4. Etappe im Zeichen der aktiven Erholung. Energie tanken für Level 2. Der heutige Tag ist der Übergang zwischen bereits Erlebten und dem, was kommt. Unerwartet schön ist das, was da ist.Der Rhein zwischen Schaffhausen und Bodensee gibt ein nahezu jungfräuliches Bild ab. Zeit für ein wenig Chillen am Ufer. Wilde Wiesen mit Klatschmohn, klarstes Wasser, das in der Sonne türkis, smaragdgrün und azurblau funkelt. Hier auf einer kleinen Stufe sitzend, den glasklaren Rhein plätschernd vorbeiziehen zu sehen, wird klar, was Bikepacking so besonders macht. Es sind Momente wie diese.
In Friedrichshafen gibt es ein bisschen Flugzeugbaugeschichte. Eine Do 31 ist im Außenbereich des Dornier-Museums aufgebockt. Der stählerne Senkrechtstarter hat es zwar nie in Serie geschafft, aber die Kreation war Vorlage für viele weitere Entwicklungen der Luft- und Raumfahrttechnik. Im Horizontalflug endet der Tag wenig später in Tettnang. Eine erfrischende Dusche, das delikate Dinner und das himmlisch weiche Bett runden diese Etappe perfekt ab. Die Energie ist zurück, Level 2 kann kommen.
Entlang der Deutschen Alpenstrasse führt die Rennrad-Route vorbei am Großen Alpsee über den Oberjochpass. Mit seinen insgesamt 106 Schwüngen ist es Süddeutschlands kurvenreichste Straße. Vorbei an Pfronten und dem hübschen Weißensee ist man schnell in Füssen mit seinen vielen Touristen. Der Trubel hier hat nur einen Grund, es ist das „Märchenschloss“. Schneeweißes Kleid, Zinnen, Dächer, Türmchen, dazu eine künstliche Tropfsteinhöhle. Der exzentrische Bauherr König Ludwig II. hat für sein Schloss Neuschwanstein zauberhaft auf den Putz gehauen. Der Bayer zeigt halt gerne was er hat.
Die Berge im Rücken wird der Kitsch-Kurs in nordöstliche Richtung fortgesetzt. Schnell ist man an der Wieskirche. Das Rokoko-Bauwerk gehört zum Weltkulturerbe. Der Grund hierfür lässt sich erst im Inneren erfassen. Altar, Kanzel, Orgel und Deckenfresken sind an Opulenz, Feinheit, Verspieltheit und verschwenderischer Fülle nicht zu übertreffen. Sehr schnell sind die Augen überfordert. Aus der Stille geht es für die letzten Kilometer zurück auf die Deutsche Alpenstraße.Nach acht Stunden Fahrzeit ist in Garmisch-Patenkirchen Feierabend.
Der vorletzte Tag beginnt ohne Hetze. Wachwerden ohne Wecker, das First-Class-Frühstück wird zum Brunch und das tägliche Wurstrollen der Klamotten für wackelfreie Ladung wirkt erstmals entschleunigend. In Vorderriss schlängelt sich die Isar friedlich, ungestört und ursprünglich in ihrem Kiesbett durch das weite Tal. Mal breit, mal schmal, zeitweilig langsam, dann wieder schnell, stellenweise getrennt, zumeist aber vereint. Türkises Wasser, wilder Pflanzenwuchs, Schnee befleckte Berge in der Ferne. Die 20 Kilometer bis Vorderriss sind eine Mischung aus Mondlandschaft, Kieswüste und bayrisch Wyoming.
Über den Achenpass weiter rüber zum Tegernsee. Kurz hinter Rottach-Egern startet man hinauf zum Sutten. Fordernd aber verheißungsvoll. Was folgt sind kurvige fünf Kilometer tief hinunter ins Tal. Fuchur fliegt durch die Valepp. Ein paar grasende Kühe waten durchs Wasser, dort ein verlassenes Jagdhaus. Die perfekte Vorlage für jeden Modellbau-Liebhaber. Wenig später endet der vorletzte Tag durch Süddeutschland in einem Naturhotel in Bayrischzell. Heute hat Bayern gezeigt, was es hat – ganz einfach alles!
Das Aufstehen am letzten Tag fällt schwer. Die Schenkel sind definitiv nicht mehr im „Frischetheke“-Modus. Auf den vergangenen 800 Kilometern ist ihnen einiges abverlangt worden. Das Ziel am frühen Abend in Berchtesgaden ist jedoch in Reichweite, daher ist die Motivation nach wie vor hoch und das Gemüt wie auch dieser Morgen sonnig. Ein würdiger Abschluss dieser Reise wartet, die Rossfeld-Panoramastraße auf 1560 Metern Meereshöhe. Der Weg dort hoch über Obersalzberg wird erbarmungslos.
Fluchen und flennen flankieren das Finale. Fluchen, da diese letzten Kilometer die schwersten der gesamten Reise sind. Der Wille anzukommen ist da, doch er ist mit Schmerzen verbunden. Der Geist will schlichtweg nur ankommen, der Körper ist einfach nur hörig. Nach einer Stunde und 20 Minuten bergauf ist es dann endlich geschafft. Vor der letzten Kurve sieht man bereits das gewaltige Steinfundament mit seinen 18 Rundbögen, das dafür sorgt, dass Deutschlands höchste Passstraße hier oben am Berg überhaupt kleben bleibt. Tränen der Freude mischen sich mit Schweiß der Erschöpfung. Finale Furioso! Aber soll diese Reise jetzt tatsächlich das Ende von „On The Ride“ sein? Nein, das hier, das ist erst der Anfang.